Übergabe im Sprecher:innenrat: Olaf Groh-Samberg und Nicole Deitelhoff über Entwicklungen in der Forschungs- und Transferarbeit am FGZ

Im Juni hat der Soziologe Prof. Dr. Olaf Groh-Samberg von der Universität Bremen turnusgemäß die Funktion des geschäftsführenden Sprechers von der Frankfurter Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Nicole Deitelhoff übernommen. In den kommenden zwei Jahren werden die Ergebnisse von über 80 Forschungsprojekten am bundesweiten Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) erscheinen und zur Diskussion gestellt – in wissenschaftlichen Veranstaltungen und Publikationen, wie auch in zahlreichen Transferformaten, die zuletzt entwickelt worden sind. Heike List hat mit den beiden Sprecher:innen über die Entwicklungen im FGZ gesprochen.

Liebe Nicole Deitelhoff, lieber Olaf Groh-Samberg, zwei Jahre FGZ, zwei Jahre digitale Sitzungen während der Pandemie und im Sommer das erste große Präsenztreffen bei der Jahreskonferenz in Bremen („Gesellschaftlicher Zusammenhalt: Quellen, Gefährdungen und Ambivalenzen“). Welche bisherigen Entwicklungen im FGZ würden Sie hervorheben, was hat Sie davon überrascht und was organisatorisch besonders herausgefordert? 

Nicole Deitelhoff (ND): Überrascht hat mich, wie gut es gelungen ist, ein Institut auch ohne physische Treffen aufzubauen und beobachten zu können, wie sich trotz aller Widrigkeiten zwischen den einzelnen Standorten neue Themen und Vernetzungen herausgebildet haben. Es hat sich aber auch gezeigt, dass wir den physischen Kontakt inhaltlich brauchen: Erst wenn alle miteinander in einem nicht-virtuellen Raum sitzen, kommen ernsthafte Diskussionen zustande und das Ringen um Alternativen gewinnt an Bedeutung. Das lässt sich nicht auf die virtuelle Welt verlegen.

Olaf Groh-Samberg (OGS): Für einen richtigen Rückblick fehlt noch die Distanz, wir stecken ja noch ‚mitten drin‘ in unserer ersten Förderphase. Fest steht aber: Es waren zwei intensive Jahre, in denen aus elf einzelnen Standorten mit ihren anfänglichen Ideen ein gemeinsam agierendes Forschungsinstitut geworden ist – das ist schon eine ziemliche Strecke, die wir zurückgelegt haben. Der durch die Pandemie erzwungene Digitalisierungsschub war für uns einerseits besonders hilfreich. Wenn ich nur an die ersten Videokonferenz-Versuche im Daten-Ausschuss vor Beginn der Pandemie zurückdenke. In digitalen Meetings neigen die Leute auch zu pragmatischerem Diskurs- und Entscheidungsverhalten, das hat uns manchmal vielleicht auch geholfen. Aber mir ist spätestens bei unserer Klausurtagung im März, die wir zum Glück in Präsenz im Taunus durchführen konnten, klar geworden, wie viel wir durch den Verzicht auf persönliche Treffen letztlich auch verloren haben! Die Bilanz der Pandemie ist für das FGZ (wie für die Welt insgesamt) eindeutig negativ. Trotzdem waren die digitalen Diskussionen in den Tagungen, Workshops und Kolloquien für mich immer ein Highlight. Am meisten beeindruckt und auch beansprucht hat mich die gemeinsame Arbeit rund um das Datenzentrum Zusammenhalt (DZZ)  im FGZ, für dessen Aufbau wir mit dem Standort Bremen verantwortlich zeichnen. Vor allem die Erarbeitung einer großen Panelstudie und die kollaborative Entwicklung des Frageprogramms – das war sehr intensiv, aber auch ungemein spannend und produktiv. Und eine echte Kollektivleistung des FGZ. Am Überraschendsten war vielleicht, wenn manche Dinge ausnahmsweise mal nach Plan verliefen.

Auf das Datenzentrum kommen wir gleich nocheinmal zu sprechen. Zunächst noch ein kurzer Blick zurück: Frau Deitelhoff, bei der Übergabe vor einem Jahr an Sie als geschäftsführende Sprecherin hatten Sie sich den Wissenstransfer als besondere Aufgabe Ihrer Amtszeit gesetzt. Sie haben zwischenzeitlich einen Praxisrat ins Leben berufen, der die Forschung des FGZ kritisch begleiten, blinde Flecken ebenso aufzeigen soll wie alle relevanten Interessen und Positionen zum Zusammenhalt. Ist das gelungen? Wie breit ist das Spektrum an Stimmen im Praxisrat und welche unbequemen Fragen ans FGZ kamen bisher aus diesem Gremium? 

ND: Das Spektrum ist sehr breit, da nahezu alle größeren gesellschaftlichen Sektoren vertreten sind. Die Fragen waren bislang aber gar nicht unbequem, eher anspornend. „Was machen Sie da eigentlich und warum sollten wir uns dafür interessieren?“ – das heißt für uns: noch deutlicher zu machen, wie unsere Forschung für die Gesellschaft arbeitet. Aber auch über den Praxisrat hinaus haben wir in den letzten 12 Monaten trotz Pandemie versucht, den Transfer voranzutreiben und ich denke, das ist uns gelungen. Alle Standorte sind mittlerweile aktiv und haben fantastische Projekte und Formate aufgelegt, die sich sehen lassen können. Ein kleiner, aber dennoch schöner Erfolg ist nicht zuletzt, dass die erste Episode unseres Video-Formats FGZ Tapes zum Thema Polarisierung im Wettbewerb Fast Forward Science mit den zweiten Preis in der Kategorie Scientist & Research Institution ausgezeichnet wurde. 

Das FGZ sieht es als seine Aufgabe, die Forschung in den Dienst der Gesellschaft zu stellen und eben auch auf tagesaktuelle Entwicklungen und Krisen reagieren zu können. Wie klappt dieser Spagat zwischen Grundlagenforschung und Zeitdiagnose  und mit welchen Forschungsthemen und in welchen Formaten hat sich das FGZ im verganenen Jahr zu aktuellen Entwicklungen geäußert?

ND: Wir haben viele tagespolitische Themen aufgenommen und sowohl in der Forschung als auch im Transfer bearbeitet. Dazu zählt die Pandemie und ihre Auswirkungen auf Zusammenhalt bzw. die öffentliche Wahrnehmung davon. In der Forschung haben wir Workshops zu Polarisierung veranstaltet, publiziert und Daten erhoben und im Transfer haben wir über Formate wie den StreitClub versucht, aufzuzeigen wie Kontroversen auch ohne Polarisierung auskommen oder eben mit Erklärvideos wie den FGZ Tapes versucht verständlich herauszuarbeiten, was Polarisierung eigentlich genau ist oder ob soziale Medien Gefahren für den Zusammenhalt bergen. Der Ukrainekrieg war und ist natürlich ein Thema, das im FGZ vor allem an entsprechend profilierten Standorten bearbeitet wird, wie etwa in Bielefeld am Institut für ­interdisziplinäre Konflikt-­und Gewaltforschung (IKG) oder in Frankfurt, wo wir mit der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) eine starke Partnerin mit einschlägiger Expertise haben. Das ist  eindeutig eine Stärke unseres dezentralen und interdisziplinären Instituts: Wir versammeln im FGZ eine enorme Fülle und Bandbreite an Expertise, die uns befähigt, viele Themen mit Fokus auf Fragen des Zusammenhalts zu bearbeiten.

Herr Groh-Samberg, Sie leiten u.a. das Datenzentrum Zusammenhalt (DZZ) im FGZ. Welches sind die Aufgaben und Angebote dieser Einrichtung und warum braucht das FGZ eine eigene Dateninfrastruktur? Lässt sich Zusammenhalt überhaupt messen – auch angesichts der vielen Disziplinen, die im Institut vertreten sind, die jeweils ganz unterschiedliche Konzepte und Perspektiven auf Zusammenhalt haben?

OGS: Gerade weil im FGZ verschiedene disziplinäre, theoretische und methodische Perspektiven vertreten sind, brauchen wir ein Datenzentrum, das die verschiedenen Dateninfrastrukturen im FGZ koordiniert. Dazu gehört ja nicht nur das zentrale Zusammenhaltspanel, das für viele Projekte im FGZ eine wichtige Datenquelle sein wird und das es uns erlaubt, neue Erhebungsinstrumente und innovative Survey-Designs einzusetzen, sondern auch das Regionalpanel, mit dem wir für ausgewählte Regionen in die lokale Tiefe gehen können, das Qualipanel, das Erfahrungen und Praktiken des Zusammenhalts umfassender zu rekonstruieren erlaubt, das (Social) Media Observatory, mit dem wir auch die Dynamiken und Muster medialer Kommunikationen erfassen können, und schließlich die vielen weiteren quantitativen wie qualitativen Daten, die in den Projekten des FGZ erhoben werden. Dabei geht es also auch gar nicht nur ums ‚Messen‘ in einem engeren, quantifizierenden Sinn, sondern um das empirische Ausleuchten von ‚Zusammenhalt‘ aus möglichst vielen Perspektiven. Wir haben uns ja bewusst nicht für eine Strategie der definitorischen Festlegung und Operationalisierung eines Konzepts für den gesellschaftlichen Zusammenhalt entschieden. Aber wenn man mich fragt: Ich würde denken, was sich sagen lässt, das lässt sich – ganz prinzipiell – auch ‚messen’. Es ist dann nur eine Frage der Komplexität und Aufwendigkeit des ‚Messinstrumentariums’ (in dem immer auch ein theoretisches Instrumentarium steckt) – Dateninfrastruktur ist eigentlich nur ein anderes Wort dafür.  

Wo sehen Sie Ihre wichtigsten Schwerpunkte für die Institutsleitung der nächsten zwei Jahre? Welche Zukunftsvision hätten Sie vom FGZ im Jahre 2030? Wohin soll das FGZ streben?

OGS: Die nächsten zwei Jahre werden sicher durch die Präsentation und Diskussion von Ergebnissen unserer Arbeiten geprägt sein. Es beginnt quasi die Erntezeit. Und wir können uns dazu wieder in Präsenz treffen – z.B. auf der Jahrestagung und Summer School, die vom 12.-16. Juli in Bremen stattfinden werden! Darauf freue ich mich schon sehr. Aktuell stehen natürlich auch die Planungen einer möglichen zweiten Förderphase und der dafür notwendige Fortsetzungsantrag an das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf der Agenda, das wird uns auch noch ein Weilchen beschäftigen. Ich denke, die Zukunftsvision für das FGZ ist eigentlich ziemlich klar: Wir wollen ein Institut werden, das erste seiner Art, das aus elf profilierten Standorten besteht, aber standortübergreifend zu gemeinsam definierten Themen arbeitet, Forschung und Transfer ineinander verschränkt, innovative Dateninfrastrukturen bereitstellt, damit zentrale Impulse setzt und zu einer strahlkräftigen Einrichtung wird für die Erforschung und für Fragen der Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Das Gespräch führte Heike List.

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