Sprecherwechsel am TI Hamburg: Ein Gespräch mit Uwe Hasebrink & Jan-Hinrik Schmidt über Medien und Forschung im Wandel

Am Hamburger Teilinstitut des FGZ wechselten zum 1. Oktober die Sprecher: Jan-Hinrik Schmidt löste Uwe Hasebrink ab, der sich nach 35 Jahren Forschertätigkeit am Hans-Bredow-Institut in den Ruhestand verabschiedete. Wir sprachen mit den beiden über den Wandel von Medien- und Forschungslandschaft.

Herr Hasebrink, Sie sind seit 1986 am Hans-Bredow-Institut tätig gewesen. Damals, im März des Jahres, rief US-Außenminister George Shultz bei einer Rede in Paris das Informationszeitalter aus und prophezeite: "The information revolution promises to change the routine of our planet as decisively as did the industrial revolution of the past century.“ Zunächst, aus Ihrer Sicht eines Medienforschenden: Wie hat uns das Informationszeitalter seither verändert? Und: Welche Prozesse dieses Wandels – so er denn einer war – haben Sie als Forschende, Herr Hasebrink und Herr Schmidt, besonders intensiv begleitet? 

Uwe Hasebrink: Im Rückblick auf die vergangenen 35 Jahre fällt auf, dass das, was damals als „Revolution“ imaginiert wurde, nicht ansatzweise so weit ging wie das, was wir heute beobachten können. Die kurze Antwort auf die Frage, wie uns das damals so genannte „Informationszeitalter“ verändert hat, ist die tiefgreifende Mediatisierung des Alltags, die Durchdringung sozialer Prozesse und Zusammenhänge mit Medien.  Als Forscher interessierte mich immer besonders die Verschränkung von medialem und gesellschaftlichem Wandel – die Kommerzialisierung des Rundfunks seit den 80er Jahren und die Verbreitung der digitalen Online- und Mobilkommunikation seit den späten 90er Jahren gaben die wichtigsten medialen Anstöße; die Wende in den mittel- und osteuropäischen Staaten zum Ausklang des Jahrhunderts mit ihren Folgen – so der deutschen Vereinigung und dem fortschreitenden europäischen Einigungsprozess – sowie die zunehmenden Brüche und Klüfte in den meisten westlichen Gesellschaften waren die wichtigsten gesellschaftlichen Anlässe für die Forschung am Hans-Bredow-Institut, letzterer führte dann auch zu unserer Mitwirkung am FGZ.

Jan-Hinrik Schmidt: Ich bin vergleichsweise spät in diese Entwicklungen, die Uwe Hasebrink beschreibt, als Forschender eingestiegen. Mitte der 2000er Jahre, zum Ende meiner Promotionszeit, habe ich begonnen, mich mit dem Web 2.0 bzw. den Sozialen Medien, wie wir mittlerweile sagen, zu beschäftigen. Im Kern geht es mir seitdem darum, eine eigentlich simple Entwicklung zu verstehen und zu erklären: Was passiert, wenn die medientechnischen Hürden immer weiter sinken, Informationen aller Art mit anderen zu teilen und soziale Beziehungen über raumzeitliche Distanzen hinweg zu pflegen? Das verändert Strukturen gesellschaftlicher Öffentlichkeit genauso wie die Alltagsroutinen der Menschen – und ja, natürlich, auch die Praktiken, Institutionen, Modalitäten und Diskurse des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Herr Schmidt, was war nach Ihrer Einschätzung ein besonders wichtiges Verdienst des HBI bei der Erforschung dieser Zusammenhänge? 

JHS: Ich habe den Eindruck, dass das HBI sowohl in die akademische Fachdiskussion als auch in die Praxis von Medienorganisationen und Medienpolitik wertvolle Beiträge einspeist. Dabei hilft uns unser Profil als interdisziplinär arbeitendes Institut, das vor allem die Kommunikationswissenschaft und die Rechts- und Regulierungswissenschaft zusammenbringt, in den letzten Jahren ergänzt um die Perspektive der Computational Communication Science. Aber für mich hat sich das Institut auch dadurch verdient gemacht, dass es eine ungemein kollegiale und vergleichsweise hierarchiefreie Arbeitsatmosphäre bietet. Das wirkt vor allem nach innen, trägt aber dazu bei, dass wir auch nach außen so viele Impulse setzen können.

Herr Hasebrink, das HBI ist mittlerweile Mitglied in der Leibniz-Gemeinschaft und Teil des FGZ-Netzwerks. Wie hat sich die Forschungslandschaft in Ihren Augen verändert? Sehen Sie auch schwierige Entwicklungen?
UH: Das HBI hat, dabei einer allgemeinen Entwicklung der Forschungslandschaft folgend, einen enormen Professionalisierungsschub vollzogen – es ist nicht mehr so, dass Forschung „geschieht“, sie wird zunehmend strategisch geplant und organisiert. Exzellenz-, Internationalisierungs-, Kooperations-, Karriereförderungs- und Transferstrategien machen einen wesentlichen Teil der Arbeit an wissenschaftlichen Einrichtungen aus und stehen im Fokus von Evaluationsverfahren. Das führt, wie unter anderem an der Verbundforschung des FGZ zu beobachten ist, zu beachtlicher Produktivität, bereichernden Kooperationen, auch zu einem verbesserten Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Als Schattenseite mag angesehen werden, dass gelegentlich die Flexibilität, neue Themen aufzugreifen, innovative Ideen zu entwickeln, im guten alten Sinne „quer zu denken“, zu kurz kommt. Dass auch diese Schattenseite seit einiger Zeit mit dem Schlagwort „high risk, high gain“ strategisch aufgehellt werden soll, überzeugt mich nicht ganz – gute Forschung braucht aus meiner Sicht auch Räume, die nicht strategisch bestimmt sind.     

Herr Schmidt, Sie treten nun, nach zwei nicht ganz einfachen Jahren in einer globalgesellschaftlichen Gesundheitskrise, Ihr neues Amt an. Haben Sie den Eindruck, dass Sie Zeuge eines ähnlich tiefgreifenden medialen Wandels sind, wie die Zeitgenossen in den 80er- und 90er-Jahren?

JHS: Ja, wobei ich mir gar nicht sicher bin, ob wir zwischen den aktuellen Entwicklungen und denen von vor 30 oder 40 Jahren so klar trennen können. Denn damals wie heute beschäftigen uns ja Formen und Folgen von Digitalisierung und Automatisierung. Was an der gegenwärtigen Situation aber sicherlich neu ist: Mit Google, Facebook & Co. sind Akteure herangewachsen, die weltweit Medienöffentlichkeit und Medienwirtschaft prägen, wenn nicht gar dominieren. Politisch-regulatorisch, aber auch in Hinblick auf die Prozesse gesellschaftlicher (Selbst-)Verständigung haben wir diese Machtverschiebung meinem Eindruck nach noch nicht bewältigt oder eingehegt.

Wie hat sich die Nutzung von Medien in den letzten Jahren und zuletzt seit Beginn der Corona-Krise in Ihren Augen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt ausgewirkt? Lässt sich ein Trend erkennen?

UH: Aktuell, unter dem Eindruck der Corona-Pandemie, lassen sich gegenläufige Trends in der Mediennutzung erkennen – die deshalb für das FGZ von besonderem Interesse sind. Auf der einen Seite war im Zusammenhang mit der Pandemie eine Renaissance der etablierten journalistischen Medien zu beobachten; im Durchschnitt über die Gesamtbevölkerung nahm das allgemeine Vertrauen in die Medien während der Pandemie zu. Auf der anderen Seite ist aber auch unübersehbar, dass sich am Thema Corona die Geister scheiden und sich kommunikative Milieus herausbilden, in denen sich extreme Wahrnehmungen der Pandemie und der sich daraus ergebenden Konsequenzen entwickeln, die sich mit anderen populistischen Strömungen verbinden; hier spielen soziale Medien als Infrastruktur für Polarisierung und Desinformation eine maßgebliche Rolle.

Herr Schmidt, was haben Sie sich für die nächsten Jahre vorgenommen? Was sind Ihre Ziele als Sprecher des Hamburger Teilinstituts? Und: Welches Thema sollte vielleicht noch stärker in den Forschungsfokus des FGZ rücken?

JHS: Wie alle anderen Teilinstitute stehen wir auch in Hamburg vor einer anspruchsvollen Aufgabe. Zum einen gilt es, unser Forschungs- und Transferprogramm aus der ersten Förderphase umsetzen. Zum anderen wollen wir Forschungsschwerpunkte und Kooperationen im FGZ konzipieren, die wir in einer möglichen zweiten Förderphase bearbeiten können. Das werde ich zusammen mit Wiebke Loosen und den übrigen Projektleitungen und Beteiligten in Hamburg angehen, worauf ich mich sehr freue. Ich kann mir zum Beispiel gut vorstellen, dass wir uns in den kommenden Jahren noch stärker mit den Folgen von automatisierter Kommunikation für gesellschaftlichen Zusammenhalt beschäftigen werden. Und die Pandemie, aber auch die immer drängender werdende Klimakrise zeigen, dass es sich lohnt, stärker die Wissenschaftskommunikation in den Blick zu nehmen.

Zum Schluss an Sie beide gerichtet: Was raten oder wünschen Sie Ihrem Vorgänger bzw. Nachfolger?

UH: Da Jan-Hinrik Schmidt schon in der Antragsphase die Überlegungen zu unserem spezifischen Beitrag zur Erforschung gesellschaftlichen Zusammenhalts maßgeblich mitgeprägt hat und seit Beginn des FGZ die Aktivitäten des „TI Hamburg“ koordiniert, kann ich ihm nichts raten, sondern nur „Weiter so!“ zurufen.

JHS: Ich wünsche Uwe Hasebrink von Herzen, dass er im Ruhestand tatsächlich mehr Ruhe findet als zuvor, aber zugleich auch noch die wissenschaftlichen Vorhaben begleiten kann, die ihm Spaß machen.

Herr Hasebrink, Herr Schmidt, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führten Wiebke Schoon und Roman Krawielicki.

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