Ausgezeichnete politische Psychologie: Andreas Zick erhält Nevitt Sanford Award der International Society for Political Psychology

Für seine Beiträge zur Entwicklung der politischen Psychologie ist Prof. Dr. Andreas Zick (FGZ Teilinstitut Bielefeld) mit dem Nevitt Sanford Award ausgezeichnet worden. Wir haben mit ihm über die politische Psychologie als Forschungsperspektive und die manchmal schwierige Aufgabe der Vermittlung entsprechender Forschungsergebnisse in die Öffentlichkeit und an die Politik gesprochen.

Der Nevitt Sanford Award wird jährlich von der International Society for Political Psychology (ISPP) vergeben und ehrt Wissenschaftler:innen, die mit ihrem Werk und ihrer Arbeit insgesamt für innovative und praktisch bedeutsame Beiträge zur politischen Psychologie stehen und damit in positiver Weise Einfluss auf Politik und Gesellschaft nehmen. Der geschäftsführende FGZ Institutssprecher Prof. Dr. Olaf Groh-Samberg gratuliert Andreas Zick im Namen des gesamten Forschungsinstituts herzlich zur Auszeichnung: „Andreas Zick bringt die Perspektive der politischen Psychologie in die Grundlagenforschung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt am FGZ ein. Die Bielefelder Forschungsprojekte unter seiner Leitung leisten mit ihrem Fokus auf Dynamiken und Regulationsformen von Gruppenkonflikten einen wichtigen Beitrag zu unserer interdisziplinären Arbeit.“  Andreas Zick leitet fünf Forschungsprojekte am FGZ Teilinstitut Bielefeld, in denen mit Perspektiven der politischen Psychologie Bedingungen sozialer Kohäsion als Voraussetzung gesellschaftlichen Zusammenhalts untersucht werden.

Zunächst auch an dieser Stelle noch einen herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung mit dem Nevitt Sanford Award! Sie arbeiten als Erziehungswissenschaftler vor allem zur Sozialisations- und Konfliktforschung. Könnten Sie unseren Leser:innen erklären, wie ihnen die Perspektive der politischen Psychologie in ihrer Forschung hilft und was ihre Besonderheiten sind? 

Die politische Psychologie befasst sich kurz gesagt mit den politischen Wahrnehmungen und dem politischen Verhalten von Menschen und Gruppen in Gesellschaften. Sie befasst sich mit politikbezogenen Themen und der Frage nach dem politischen Subjekt. Zentrale Forschungsthemen sind politische Einstellungen und Orientierungen, die politische Sozialisation, Wahlverhalten, politische Ideologien und Extremismus wie auch politische Rhetorik, Friedens- und Konfliktphänomene oder politische Führung. Dem amerikanischen Forscher Nevitt Sanford ging es um den Zusammenhang von Persönlichkeit und der Entwicklung von gesellschaftlichen Persönlichkeiten, wie die Entwicklung autoritärer Persönlichkeiten, des Ethnozentrismus und Antisemitismus und gesellschaftlicher Destruktivität. Wir kennen ihn aus Studien zur Autoritären Persönlichkeit, die in Deutschland häufig ausschließlich mit Theodor W. Adorno in Verbindung gebracht werden. Später hat Sanford sich mit der Hochschulbildung befasst, was mich dank meiner Professur für Sozialisation und Konfliktforschung in seine Nähe rückt. Es geht in der Politischen Psychologie im weitesten Sinne um die Wechselwirkung von Politik, wie sie in Institutionen, Entscheidungen und Konstruktionen repräsentiert ist, Individuen und Gruppen. Insofern bilden Politische Psychologie und Sozialpsychologie, wie wir sie verfolgen, ein gutes Tandem. Bei aller Güte dieser Forschung tun wir uns in Deutschland und einige anderen europäischen Ländern schwer mit der Frage nach der Psychologie der Politik. Die politische Psychologie ist in Deutschland noch kein etabliertes Forschungsfeld und kein etabliertes Gebiet in der Psychologie. Es gibt wenige Professuren mit entsprechender Denomination, auch wenn viele Forschenden in der Psychologie, den Politikwissenschaften, der Soziologie und anderen Gebieten politische Psychologie betreiben. Dank des Forschungsinsituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt und der Förderung einer Koordinationsstelle konnten wir zusammen mit der Abteilung Psychologie hier an der Universität Bielefeld nun eine befristete Professur für Politische Psychologie schaffen. Das ist ein guter Schritt, denn die politische Psychologie kann ganz zentrale Beiträge zu Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts liefern.

Bleiben wir noch kurz bei diesem Punkt: Sie leiten in Bielefeld fünf FGZ Forschungsprojekte, die sich mit Aspekten des gesellschaftlichen Zusammenhalts beschäftigen  – welchen Fragen gehen Sie darin nach und welche Rolle sehen Sie für die politische Psychologie in der interdisziplinären Forschung am FGZ insgesamt?

Wir befassen uns zusammen mit anderen Insituten zum Beispiel mit der Frage, wie Zusammenhalt für Menschen und Gruppen in konkreten lokalen Räumen hergestellt werden kann. Dabei spielen politische Einstellungen eine zentrale Rolle: Wer gehört nach Meinung von Menschen zum Raum, zur Nachbarschaft, zur politischen Gemeinschaft? Spielt die Wahrnehmung von Politik und ihrer Steuerung, Regulierung und ihrem Einfluss eine Rolle? Und wie werden raumbezogene politische Maßnahmen wahrgenommen? In einem anderen Projekt befassen wir uns mit der Frage, wie Erinnerungskultur von politischen Orientierungen beeinflusst wird und wie sie überhaupt zustande kommt. Es sind politische Identitäten, die Erinnerungskulturen prägen. Wenn wir nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt fragen, kommen wir gar nicht umhin, nach der politischen Dimension des Zusammenhalts zu fragen. Psychologie ist dabei nicht alles, aber sie ist relevant, wie insbesondere die Entwicklung der Coronaproteste, der rasante Aufstieg von Verschwörungsmythen und die Politisierung von menschenfeindlichen Vorurteilen zeigt. Auch der politische Umgang mit Krisen und Konflikten ist dabei relevant und die Frage, wie sich dieser im Alltag und in den sozialen und indivdiduellen Prozessen einschreibt. Politische Psychologie, hier wiederhole ich mich, fragt streng nach dem politischen Subjekt und dem Verhältnis von Politik und sozial organisieten Indivdiuen. In Zeiten hoher Ungewissheit über zukünftige Entwicklungen kann die politische Psychologie ein wichtige Rolle spielen, denn sie hat Kenntnisse dazu, welche Faktoren für politisches Handeln von Gesellschaftsmitgliedern eine Rolle spielen, gerade bei Unsicherheiten. Und wie sehr politische Ideologien den Alltag prägen merken wir ja nun an dem Krieg in der Ukraine, den Konflikten in Europa und den innergesellschaftlichen Konflikten in Deutschland. Last but no least: natürlich ist auch der „gesellschaftliche Zusammenhalt“ selbst ein politisches Projekt, das wir erforschen und zu dem wir in der Folge qualifizierte Vorschläge über politische Maßnahmen zu seiner Gestaltung und Stärkung entwickeln können. 

Mit dem Nevitt Sanford Award werden nicht nur ihre Forschungsbeiträge zur politischen Psychologie ausgezeichnet, sondern auch ihr unermüdlicher Einsatz für die gesellschaftliche Relevanz von Forschungsergebnissen. Welche Erfahrungen machen Sie dabei? Findet die politische Psychologie in Deutschland ausreichend Gehör in Gesellschaft und Politik? 

Tatsächlich betone ich in den Medien selten, dass ich politischer Psychologe bin, weil das in der Regel zweifelnde Blicke erzeugt – manchmal auch ganz offene zweifelnde Fragen von Journalist:innen: „Ach, sowas gibt es?“. Politische Psychologie als strukturiertes Forschungsfeld (mit Handbüchern, Journals, Professuren und eben einer sehr großen und renommierten internationalen Fachgesellschaft) ist in Deutschland nach wie vor wenig bekannt. Da ich Professor für Erziehungswissenschaft bin, die venia legendi in der Psychologie habe und kooptiertes Mitglied der Fakultät für Soziologie bin, habe ich eine gute Auswahl an disziplinären ‚Zugehörigkeiten' aus denen heraus ich sprechen kann. Und das ist eigentlich ganz typisch für die Politische Psychologie, wie die interdisziplinäre Fachgesellschaft, die mich ausgezeichnet hat, selbst sehr gut dokumentiert.

Aber zurück zur Frage nach dem Gehör in Gesellschaft und Politik. Wir beschäftigen uns mit Gegenständen und Fragen, bei denen für viele Menschen die Möglichkeiten und Relevanz wissenschaftlicher Forschung und Expertise nicht unmittelbar auf der Hand liegt. Insbesondere dann, wenn es um (partei-)politisch umstrittene Themen geht, droht unsere wissenschaftliche Expertise den gesellschaftlichen und politischen Konfliktlinien einfach untergeordnet zu werden, anstatt dass ihr möglicherweise erhellender Beitrag zu deren Verständnis und zur Verbesserung ihrer politischen Regulation wahrgenommen würde. Auch in der Politikberatung ist politische Psychologie in Deutschland wenig präsent, denn es fehlt an Institutionalisierung, was sicher auch etwas damit zu tun hat, dass es in etablierten Disziplinen mit ihren Fachgebieten für politische Psycholog:innen, die sich auch ganz offen so verorten, häufig keinen richtigen Platz gibt. Politische Psychologie findet also eher dann Gehör, wenn sie sich in anderer Gestalt (bspw. Disziplinen, Fachgebiete, Forschungsfelder) äußert. Und selbst dann steht sie noch vor denselben Herausforderungen, mit denen die meisten Gebiete der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften in der Vermittlung und Anerkennung ihrer Erkenntnisse konfrontiert sind. Wir leben ja in einer Zeit, in der nicht nur Politik und politische Entscheidungen immer häufiger ganz grundsätzlich in ihrer Legitimation hinterfragt werden, sondern auch Wissenschaft und die Relevanz wissenschaftlicher Expertise für politische Entscheidungsprozesse infragestellt und teilweise offen angegriffen werden. Die politische Psychologie beschäftigt sich also nicht nur mit gesellschaftlichen Konfliktthemen und den Formen, mit denen sie ausgetragen werden. Vielmehr wird Sie selbst immer in diese Konflikte hineingezogen und dann selbst zum Gegenstand der Auseinandersetzung. Damit umzugehen ist eine Herausforderung, für die es keine pauschalen Rezepte gibt – außer dem vielleicht, die Stärke der Perspektive selbst zur Anwendung zu bringen und zur kontrollierten Selbstbeobachtung zu nutzen. Denn selbstverständlich lassen sich mit der politischen Psychologie auch die Forschenden als politische Subjekte in gesellschaftlichen Konflikten begreifen. Nicht zuletzt deshalb gibt es aus der politischen Psychologie heraus ein starkes Engagement für Scholars at Risk und die Suche nach Perspektiven für Forschende, die in Konflikten und Kriegen leben – aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Beitrag der politischen Psychologie und ich verstehe die Vergabe des Nevitt Sanford Awards an mich nicht zuletzt als Auszeichnung dieses Engagements, zu dem viele im Forschungsfeld beitragen.

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