Gesundheitsämter gegen Rassismus: Gesundheitsschutz als Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt

INRA_B04 – Projekt des FGZ Bielefeld

Zielsetzung/Fragestellung

Das Teilprojekt untersucht, ob und wie a) Mitarbeitende in Gesundheitsämtern und angrenzenden Behörden des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) sowie b) rassifizierte Gruppen, die entsprechende Dienstleistungen in Anspruch nehmen, Rassismus und seine Auswirkungen auf einen gleichberechtigten Gesundheitsschutz wahrnehmen und verarbeiten. Einer von vielen Aufgabenbereichen der ÖGDs sind sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte (SRHR). Dazu gehören beispielweise Schwangerschaftskonfliktberatung und Prävention, Behandlung und statistische Überwachung von Geschlechtskrankheiten. AIDS/HIV spielt für rassifizierte Gruppen hier eine besonders große Rolle.

Ziel des Projektes ist es, empirisch und theoretisch zu differenzieren und zu konkretisieren, wie Rassismus in Bezug auf sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte innerhalb der entsprechenden Verantwortungs- und Aufgabenbereiche des Gesundheitsamtes wahrgenommen bzw. erfahren werden und welche Rolle dabei Awareness – also die Reflexion von Struktur- und Machtverständnissen – spielt. Der Outcome des Projektes wird in Form eines Policy Briefs bzw. einer Broschüre sein, der Empfehlungen darlegt, Diskrepanzen in diesen Wahrnehmungen und Erfahrungen zu erkennen und durch konkrete Bildungsmaßnahmen zu überbrücken. 

Zwei Perspektiven

Nach einer partizipativ ausgelegten Konkretisierungsphase hat sich SRHR als Fokusthema für den empirischen Teil des Projektes herauskristallisiert. Hierzu untersuchen wir zwei Perspektiven:

  1. Auf der Seite der behördlichen Institutionen interessiert das Projektteam besonders das Wechselspiel zwischen individuellen Reflektionsprozessen der Mitarbeitenden mit strukturell rassistischen (Arbeits-)umwelten. Eine große Rolle spielen hier Awareness im Sinne eines rassismuskritischen Strukturverständnisses und die Fähigkeit, Rassismus, auch rückblickend, wahrzunehmen und zu benennen. 
  2. Auf der Seite der Rassismuserfahrenen wird anhand eines Fragebogens untersucht, wie sich Rassismus im Kontakt und Austausch mit Behörden äußert, von Rassismuserfahrenen verarbeitet wird und sich auf den allgemeinen Gesundheitszustand auswirkt.

Anhand eines Scoping Reviews soll der internationale Forschungsstand zur Erkennung und Aufarbeitung von Rassismen in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen erfasst werden. Darauf aufbauend erforscht das Projektteam durch einen partizipativen Ansatz, inwiefern sich Rassismen in Bezug auf sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte ÖGDs benennen und verstehen lassen.

Methoden

In Kooperation mit Betroffenen und Allies entwickelt das Projektteam in einem partizipativen Ansatz Methoden, die die Sprache und Bedarfe rassifizierter Gruppen als Ausgangspunkt versteht. Aktuell (Mai 2023) werden Methodiken noch iterativ und partizipativ konkretisiert und auf Bedarfe und vorhandene Projektressourcen angepasst.  Mögliche Schritte, um die zwei Perspektiven besser zu verstehen: 

  1. In einem von unserer Kooperationspartner Pamoja e.V. durchgeführten Awareness Training mit Mitarbeitenden relevanter Behörden und angrenzender Organisationen soll zuerst eine gemeinsame Sprache gefunden werden, Rassismus als Strukturproblem zu erkennen und zu benennen. In dem Awareness Training geht es darum, mehr Verständnis für die Lebensrealitäten rassifizierter Gruppen zu schaffen, ohne Mitarbeitende dabei zu beschämen. Das Awareness Training selber soll nicht evaluiert werden, sondern dient als Vorbereitung und Anhaltspunkt für anschließende Datenerhebungen.
  2. Mittels eines Fragebogens, Fokusgruppen oder narrativen Interviews mit Mitarbeitenden erfassen wir, welche relevanten Reflektionsprozesse wir durch das Awareness Training angestoßen haben und was diese für gesellschaftlichen Zusammenhalt bedeuten.
  3. Mittels Fragebögen für rassifizierte Dienstnutzer:innen untersuchen wir, wie, wo, wann und mit wem sich Rassismus veräußert beziehungsweise wer dem entgegenwirkt. Zudem wollen wir Erfahrungen mit Rassismus in Gesundheitsämtern anhand intersektionaler Merkmale Betroffener differenzieren, um so gezieltere Maßnahmen zur Bekämpfung zu entwickeln.
  4. Durch eine situational analysis können wir beide Perspektiven „parallel“ lesen, um auf mögliche Diskrepanzen in Eigen- und Fremdwahrnehmung rassistischer Strukturen in Gesundheitsämtern aufmerksam zu machen.

Mit unserem Beitrag ergänzen wir das Thema gesellschaftlicher Zusammenhalt durch die Perspektive der Verantwortungsübernahme und Verantwortungsdiffusion bei der Sichtbarmachung von rassistischer Diskriminierung. Ein mögliches Spannungsfeld ist die Diskrepanz zwischen Entscheidungsmacht, dem Kompetenzbereich einzelner Mitarbeitenden innerhalb einer Organisation und dem gesamtgesellschaftlichen Verantwortungsbereich des ÖGDs. Kooperationspartner:innen sind beispielsweise die Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf, die Aidshilfe Bielefeld e.V und Pamoja Afrika e.V. Köln 

Projektleiter:innen und Kontakt

Prof. Dr. Yudit Namer
Bielefeld

Prof. Dr. Yudit Namer

Yudit Namer ist Juniorprofessorin an der Universität Twente im Department of Psychology, Health and Technology und Projektleiterin in…
y.namer@utwente.nl
Prof. Dr. Oliver Razum
Bielefeld

Prof. Dr. Oliver Razum

Oliver Razum ist Mediziner und Epidemiologe. Er forscht zu sozialen Determinanten von Gesundheit, insbesondere zum Zusammenhang…
oliver.razum@uni-bielefeld.de
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