Wie wollen wir miteinander sprechen? Surveyexperimente zu Meinungsfreiheit und der Regulierung von Hate Speech

FRA_F_03 – Projekt des FGZ Frankfurt am Main

Zielsetzung / Fragestellung

Ob und gegebenenfalls wie umstrittene, verletzende oder extreme Meinungsäußerungen (Hate Speech) im öffentlichen Diskurs eingeschränkt werden sollten, ist ein zentrales demokratietheoretisches Problem, welches gerade in Zeiten wachsender kultureller Vielfalt und digitaler Kommunikationstechnologie erneut zu einer politischen Herausforderung avanciert. Strittig ist vor allem a) die Definition dessen, was überhaupt als Hate Speech gilt und Grenzen der Meinungsfreiheit überschreitet, sowie b) wie eine angemessene und wirksame regulative Antwort auf sprachliche Grenzüberschreitungen aussehen könnte. Das anvisierte Forschungsprojekt geht diesen beiden Fragen empirisch nach und leistet damit einen empirisch-analytischen Beitrag zur Erforschung der Quellen und Gefährdungen gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Mittels einer Reihe von international vergleichenden Online-Umfrageexperimenten untersucht es: a) welche Formen der Meinungsäußerung unter welchen Bedingungen für Bürger warum als hasserfüllt oder herabsetzend wahrgenommen werden und welche Sanktionen sie für angemessen halten, sowie b) inwieweit und unter welchen Bedingungen sich ihre eigenen Meinungsäußerungen zu umstrittenen Sachverhalten oder gegenüber Minderheiten durch gezielte, experimentell gesetzte Primes beeinflussen lassen. Bei Letzteren steht insbesondere der Vergleich von staatlich-legaler oder zivilgesellschaftlich-normativer Regulierung im Mittelpunkt des analytischen Interesses. Die Online-Surveyexperimente sollen in Deutschland und den USA und somit unter zwei kontrastierenden regulatorischen Kontexten durchgeführt werden, in denen sich sowohl kulturelle Normen der Meinungsfreiheit als auch formale Gesetzgebung erheblich voneinander unterscheiden (Bleich 2011).

Thematischer Bezug zu gesellschaftlichem Zusammenhalt

Gesellschaftlicher Zusammenhalt erfordert den Umgang mit Vielfalt. Dabei geht es nicht nur um die Anerkennung verschiedener sozialer Gruppen, sondern gerade auch um die Akzeptanz unterschiedlicher politischer Ansichten. Diese demokratische Selbstverständlichkeit scheint im gegenwärtigen politischen Klima manchmal in Vergessenheit zu geraten. Allein der Tatsache, dass wir Teilnehmer als innerhalb oder außerhalb des demokratischen Diskurses stehend einteilen und uns über die Grenzen der Meinungsfreiheit Gedanken machen, haftet etwas Krisenhaftes an. Auch wenn diese Debatten mit aufgeladenen Kampfbegriffen wie „politische Korrektheit“ und „Tugendpolizei“ auf der einen Seite oder „Hetze“ und „Hate Speech“ auf der anderen hantieren, werfen sie doch eine zentrale Frage für den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf: Wie kann die schwierige Balance zwischen individueller Freiheit und gleicher Würde im öffentlichen Diskurs gelingen?


Bleich, Erik 2011: The Freedom to Be Racist? How the United States and Europe Struggle to Preserve Freedom and Combat Racism, Oxford.

Publikationen

[Open Access] Is Free Speech in Danger on University Campus? Some Preliminary Evidence from a Most Likely Case

[Open Access] Is Free Speech in Danger on University Campus? Some Preliminary Evidence from a Most Likely Case

Matthias Revers, Richard Traunmüller
Revers und Traunmüller haben die Haltunger linker Studierender der Sozialwissenschaften in Frankfurt zu Fragen der Meinungsfreiheit untersucht. Ihre Ergebnisse legen nahe, dass sich Studierende häufig sprachlich angegriffen fühlen und dass sich ein beträchtlicher Anteil für die Einschränkung der Meinungsfreiheit ausspricht.» Details zum Projekt

Subjective Freedom of Speech: Why Do Citizens Think They Cannot Speak Freely?

Jan Menzner und Richard Traunmüller
In: Politische Vierteljahresschrift» Details zum Projekt

Meinungsfreiheit an der Universität: Unschärfen und Strohmänner (Antwort auf Lars Meier)

Richard Traunmüller und Matthias Revers
In: KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 73, Nr. 1: 137–146» Details zum Projekt

Lässt sich „Cancel Culture“ empirisch belegen? Impulse für eine pluralistische Fachdebatte.

Paula-Irene Villa, Richard Traunmüller und Matthias Revers
In: Aus Politik und Zeitgeschichte 71, Nr. 46: 26–33» Details zum Projekt
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