Rassismus seit 1945 und die Transformation Deutschlands zur Einwanderungsgesellschaft: BRD, DDR und die Bundesrepublik Deutschland (1945–1999)

BER_F_04 – Projekt des FGZ Berlin

Zielsetzung / Fragestellung

Trotz der unübersehbar rassistischen deutschen Politik besonders gegenüber Ost- und Südosteuropa und vor allem während des Zweiten Weltkriegs, der Millionen von Menschen zum Opfer fielen, ist das Thema „Rassismus“ in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung ein blinder Fleck geblieben, woraus sich erstaunlicherweise zugleich die Vorstellung entwickelt zu haben scheint, dieser wäre nach 1945 – im Gegensatz zum Antisemitismus – plötzlich verschwunden. Konzepte wie Ausländer*innenfeindlichkeit oder Fremdenhass, die institutionelle und strukturelle Aspekte kaum adressieren, bedienen lediglich die Vorstellung anthropologischer Konstanten. Zudem reproduzieren sie die fragwürdige Entgegensetzung von „Wir“ und die „Anderen“ in einer gleich nach Kriegsende von verschiedenen Migrationsströmen geprägten Gesellschaft. Inwiefern haben diese Begrifflichkeiten die Einsicht in die Bedeutung des Rassismus als Modus der Vergesellschaftung in Deutschland auch nach 1945 verstellt? Welche gesellschaftlichen Gruppen waren wann und in welcher Weise von Rassismus betroffen? Wie wurden rassistische Wissensformationen nach der „Stunde null“ transferiert, reproduziert und transformiert? Welche Konjunkturen des Rassismus und Antirassismus zeichnen sich ab?

Gerade die Zusammenschau von BRD und DDR kann die Bedeutung von institutionellen, strukturellen, diskursiven und ideologischen Unterschieden der zwei Regime auf die Prävalenz von Rassismus und rassistischem Wissen eruieren. Zudem ermöglicht die Zusammenschau einen Einblick sowohl in die unterschiedliche Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen und kolonialen Vergangenheit in beiden deutschen Staaten als auch in die Verflechtungsgeschichte der beiden Gesellschaften in Hinblick auf das dort jeweils konstruierte „Migrationsandere“.

Thematischer Bezug zu gesellschaftlichem Zusammenhalt

Die sogenannte „Flüchtlingskrise“ im Jahr 2015 hat die Spaltung der deutschen Einwanderungsgesellschaft scharf hervortreten lassen: Die Realitäten einer herkunftsdiversen, in Teilen „postmigrantischen“ Gesellschaft trafen auf Vorstellungen eines homogenen Kollektivs, dessen Bestand durch „Andere“ bedroht sei. Die deutsche Zeitgeschichte reagierte auf diese Entwicklungen zum großen Teil zunächst mit Ratlosigkeit. So wurde die Frage des Umgangs mit Herkunftsdifferenz seit 1945, welche die koloniale und nationalsozialistische Vergangenheit sowie die damit einhergehenden „Migrationsandere“ abwertenden und völkischen Wissensbestände in ihren möglichen Kontinuitäten mitdenkt, bislang kaum ernsthaft gestellt und bearbeitet. Erst das neuerliche Erstarken offen rassistischer Positionen in den letzten Jahren öffnete die zeithistorische Forschung für rassismuskritische Ansätze, die sich in anderen Disziplinen bereits seit Jahren entwickelt haben und auch für Deutschland institutionellen, strukturellen und Alltagsrassismus feststellen.

Die Geschichte der BRD und DDR unter der Perspektive dieser Ansätze zu beleuchten, stellt nicht nur ein Forschungsdesiderat, sondern eine gesellschaftspolitische Notwendigkeit dar. Das bezieht sich sowohl auf die Reflexion von Konzepten wie Rassismus / rassistisches Wissen, „Deutsche*r“ und „Ausländer*in“ und so weiter als auch auf die Analyse der Transmissionswege, Produktionen, Reproduktionen und praxeologischen Umsetzungen von rassistischem Wissen in Gesellschaften, die sich selbst als pluralistisch-demokratisch oder gar explizit anti-rassistisch verstehen. Entsprechend stehen nicht nur die Differenzen zwischen exklusiven und inklusiven Vorstellungen von gesellschaftlichem Zusammenhalt zur Diskussion, sondern auch die gewissermaßen verborgenen oder zumindest über viele Jahrzehnte hinweg kaum reflektierten strukturellen wie alltäglichen rassistischen Ein- und Ausschlussmechanismen in den beiden deutschen Gesellschaften nach 1945.

Das Projekt leistet einen gleichermaßen empirisch-analytischen und vergleichend-kontextualisierenden Beitrag. Es fragt nach der Bedeutung von rassistischen In- und Exklusionsdynamiken als Faktoren für die Entstehung und Gefährdung von gesellschaftlichem Zusammenhalt. Entsprechend stehen sowohl die diskursiven Rahmenbedingungen der politischen Kultur, die affektive Dimension von Zusammenhalt sowie Beziehungen und Praktiken auf der Mikroebene (Wohnen, migrantische Vernetzung und Wissensproduktion) zur Diskussion.

Laufzeit, Cluster und Forschungsfelder

Laufzeit:

06 / 2020 – 05 / 2024

Publikationen

Deutschland und die Migration. Geschichte einer Einwanderungsgesellschaft wider Willen

Deutschland und die Migration. Geschichte einer Einwanderungsgesellschaft wider Willen

Maria Alexopoulou
Deutschland hat sich lange dagegen gesträubt, ein Einwanderungsland zu sein, zum Teil tut es das bis heute. Dabei waren nicht-deutsche und nicht als deutsch wahrgenommene Migrant*innen in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert ständig präsent – von den »Wanderarbeitern« aus Polen und Italien im Kaiserreich über die »Gastarbeiter« in der alten Bundesrepublik bis zu den Schutzsuchenden aus aller Welt heute. Deutschland hat sich über viele Jahrzehnte zu einer vielfältigen Einwanderungsgesellschaft gewandelt und muss sich mit dieser Realität auseinandersetzen. Die Historikerin Maria Alexopoulou erzählt diese vernachlässigte und von strukturellem Rassismus durchzogene Facette der deutschen Geschichte, indem sie die Perspektive derjenigen einnimmt, die längst dazugehören und dennoch immer wieder Ausgrenzung erfahren.» Details zum Projekt
›Nation‹ Revisited: Geschichte und Gegenwart eines ambivalenten Konzepts

›Nation‹ Revisited: Geschichte und Gegenwart eines ambivalenten Konzepts

Maria Alexopoulou
In: von Appen, Ralf & Hindrichs, Thorsten (Hrsg.), One Nation under a Groove. „Nation“ als Kategorie populärer Musik. Bielefeld: transcript, S. 31-48.» Details zum Projekt

The „Niemands“ – Heimatlose Ausländer in Mannheim

Maria Alexopoulou
in: Journal of Migration History, 7(3), 220-243.» Details zum Projekt
Die Schwierigkeit, Rassismus zu erinnern – Zwickau, Chemnitz, Jena und der NSU-Komplex

Die Schwierigkeit, Rassismus zu erinnern – Zwickau, Chemnitz, Jena und der NSU-Komplex

Maria Alexopoulou
in: Onur Suzan Nobrega, Matthias Quent, Jonas Zipf (Hrsg.), Rassismus. Macht. Vergessen. Von München über den NSU bis Hanau: Symbolische und materielle Kämpfe entlang rechten Terrors. Bielefeld: transcript 2021, S. 363-380.» Details zum Projekt

Non-Citizens Protests in Germany since the 1980s

Maria Alexopoulou
in: Moving the Social · 66 (2021) · p. 63 - 87.» Details zum Projekt
Ignoring Racism in the History of the German Immigration Society: Some Reflections on Comparison as an Epistemic Practice

Ignoring Racism in the History of the German Immigration Society: Some Reflections on Comparison as an Epistemic Practice

Maria Alexopoulou
In: Journal for the History of Knowledge, 2(1), S. 7. https://doi.org/10.5334/jhk.43» Details zum Projekt
Rassismus als Praxis der langen Dauer: Welche Rassismusforschung braucht Deutschland – und wozu?

Rassismus als Praxis der langen Dauer: Welche Rassismusforschung braucht Deutschland – und wozu?

Maria Alexopoulou
In: Wissen schafft Demokratie. Tagungsband zur Online-Fachtagung „Gesellschaftlicher Zusammenhalt & Rassismus“, S. 96–105. DE: Amadeu Antonio Stiftung.» Details zum Projekt
Rassismus in der Geschichte der Einwanderungsgesellschaft Deutschland

Rassismus in der Geschichte der Einwanderungsgesellschaft Deutschland

Maria Alexopoulou
In: Bürger & Staat, Nr. 1/2-2021: 12–18» Details zum Projekt
Arbeiten für Deutschland. Schlaglichter auf die Geschichte der „Gastarbeit“

Arbeiten für Deutschland. Schlaglichter auf die Geschichte der „Gastarbeit“

Maria Alexopoulou
In: Arbeit & Migration: Geschichten von hier: Katalog zur Grossen Landesausstellung 2021, Baden-Württemberg, hg. von Technoseum Mannheim. , 54–65. Darmstadt: WBG Theiss, ein Imprint der WBG» Details zum Projekt
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